Zum dritten Mal besuche ich die Mega-Church in Hyderabad. Inzwischen sind es nicht mehr wie vor drei Jahren "nur" hunderttausend Mitglieder, sondern 170.000. Sie haben eine neue Halle für 17.000 Leute gebaut. So können jetzt 35.000 Menschen gleichzeitig einen der sonntäglich 5 Gottesdienste verfolgen. Zwei weitere Gemeinden mit je 12.000 und 15.000 Mitgliedern wurden in anderen Städten gegründet. Die Gottesdienste werden im eigenen Fernsehkanal übertragen und 300 Millionen Zuschauer erleben sie mit. Die Zahlen sind überwältigend: Jeden Sonntag verpflegen sie 15.000 Leute; 1.500 Ehrenamtliche sind aktiv, 300 arbeiten als Praktikanten ganztägig; die Mitglieder (nur die!) werden diakonisch begleitet, bekommen Besuch, Beerdigungen werden finanziert, es gibt eine Pensionskasse u.a.
An jedem Sonntag wird das alles bis spät in die Nacht hinein reflektiert. Der Gründer und Leiter, Pastor Dr. Satish Kumar, regiert die Kirche zwar "top-down", hört aber sehr intensiv auf seine MitarbeiterInnen und weiß, dass er ohne sie auf verlorenem Posten steht. Während der Woche wird viel geplant und es gibt diverse Mitarbeiterschulungen und Trainingsprogramme. In der Bibelschule sind jetzt 90 junge Leute. Und: Vor allem wird gebetet. Freitag ist Fasten und Beten angesagt, rund um die Uhr. Während des Monsuns gibt es Auszeiten, geprägt von Gebet und Bibelstudium.
Wir haben wieder Gelegenheit, mit Satish Kumar zu sprechen. Da unsere indischen Partner, die GSELC und die Shalom-Foundation, unter dem Druck der hinduistisch orientierten Regierung leiden, fragen wir ihn, wie er es momentan erlebt. Die Antwort erstaunt. Er kommt mit der BJP zurecht und erlebt keinen Druck. Als Grund gibt er zweierlei an: Zu Einen bekommt er kein ausländisches Geld, sondern alles wird von den Mitgliedern, Einnahmen durch Buchverkauf und indische Förderer finanziert. Zum Anderen vermeidet er aggressive Missionsmethoden. So spricht er von "Transformation" statt Konversion und von "Believers" statt von Christen. Er nennt seine Kirche lieber "Temple" und passt sich somit der Kultur an.
Der Mann selbst wirkt auf unsere Gruppenmitglieder eher blass, so lange er auf der Kanzel steht und sie ihm von Weitem begegnen. In der persönlichen Begegnung beeindruckt er, vor allem als er für uns betet.
Auch ich frage mich: Was ist das Geheimnis dieser Bewegung und dieses Mannes? Sicher gibt es viele Gründe zur Entstehung: Die Suche vieler Menschen in Indien nach Vorbildern, Gurus und Orientierung. Die Möglichkeit der Identifikation mit einer eindeutig orientierten christlichen Gemeinschaft. Die Eigendynamik einer riesigen Gruppe mit professionellem Marketing und Auftreten in dem ohnehin überbevölkerten Indien. Gute Leute mit herausragendem Engagement, die Arbeit und Mühe nicht scheuen und einfach vieles richtig machen.
Aber doch steckt mehr dahinter, viel mehr.
Satish Kumar ist ein (TV)Star und spielt inzwischen in der Liga der wenigen Megachurches weltweit. Seine Gemeinde rangiert inzwischen an 3.Stelle. Dabei fing es klein an, mit einer Jugendmission und dann 25 Leuten - und da sind wir wohl auch schon beim Geheimnis dieser Bewegung und ihres Gründers.
Gott hat sie gesegnet. Andere Erklärungen erklären m.E. nur Phänomene am Rand.
Satish Kumar selbst sieht es genauso. Nur die Bibel, nur das Wort (irgendwie doch reformatorisch!?) begründet, was sie tun. "Zeichen und Wunder" folgen dem Wort und werden weder gesucht oder propagiert. Auch Gemeinschaft und Liebe sind Frucht des Wortes. "Voice of Calvary" steht auf dem Rednerpult. Satish Kumar ist Prediger, Prophet und Evangelist. Sein (einziges) Instrument ist das Wort. Immer wieder betont er diese Fokussierung seiner Arbeit. Seine Leute bestätigen dies. Predigten als Bibelauslegung und bezogen auf den konkreten Alltag. Die Bibel als Grundlage und Quelle. Gehorsam und Glaube diesem Wort und seinen Verheißungen gegenüber. "Gott fragt nicht nach Frucht oder Erfolg," sagt Satish Kumar, "sondern er fragt nach unserem Glauben!" So "einfach" ist es.
Und natürlich stellt das jeden in Frage, der sich über Jahre als Prediger, Mitarbeiter, Pastor und Jünger Jesu versteht. Wieso dort, wieso bei ihm - und nicht bei uns hier und bei mir? Dieser Frage sollte man sich stellen.
Und wieder sprudelt es Antworten. Viele davon versuchen entweder, die Megachurch klein oder schlecht zu reden - oder aber unsere Arbeit groß und besonders gut zu reden. Andere argumentieren mit soziologischen und kulturellen Einschätzungen oder versuchen die "ungerechte" Verteilung geistlicher Aufbrüche theologisch, historisch oder kirchengeschichtlich zu begründen. Wie immer, mich stellt nichts davon zufrieden.
Ich fühle mich einerseits in Frage gestellt - lebe ich tatsächlich, was ich glaube? Bin ich womöglich zu lau und zu abgelenkt ...? Und könnte Gott mit mir und uns vielleicht noch viel mehr auf die Beine stellen als er es bisher tat und heute tut? Vielleicht lebe ich und leben wir ja geistlich weit unter unseren Möglichkeiten.
Andererseits aber danke ich Gott: Wie schön, dass es in dieser Welt solche Aufbrüche gibt! Wie aufregend, dass immer wieder so etwas wie "Reformation" geschieht, dass Gott sich seine Leute beruft und das Wort Gottes sich Raum verschafft!
Niemand weiß, wie lange Satish Kumar und seine Bewegung wachsen und im Segen wirken wird. Womöglich gibt es irgendwann (wie auch in der GSELC und vielen, vielen anderen Aufbrüchen) auch negative Schlagzeilen und die Segensspur verblasst.
Gott weiß es. Und dass er durch solche Leute wie Satish Kumar sein Reich baut, ist doch prima! Statt neidisch zu werden, mich abzugrenzen oder solchen gigantischen Segen zu ignorieren, will ich mich lieber daran freuen, dass unser guter Gott so gnädig und aktiv ist!